Das Denken ging den Taten voraus!

Kranke und behinderte Menschen im NS-Regime in Ulm

„Es ist normal verschieden zu sein“ dieses Postulat von Ex-Bundespräsident Richard Weizsäcker scheint in Ulm´s Bürgergesellschaft ganz normal zu sein. Bei der Eröffnung der Wanderausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“ die vom 29.April-15.Mai im Einstein Haus dem Sitz der Ulmer Volkshochschule am Kornhausplatz 5 in Ulm gastiert, wird das große Bild anhand von Einzelbiographien Betroffener klar. Bei der Eröffnung konnte man erfahren, dass in dem Gebäude wo heute noch immer das Ulmer Amtsgericht ansässig ist, mit tödlichen Folgen über Lebenswert und Lebensunwert von Menschen entschieden wurde. Nicola Wenge von der KZ-Gedenkstätte „Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg“ machte darauf aufmerksam, dass es für den heutigen Diskurs über Krankheit, Wert und Würde wichtig sei zu wissen, dass es in Ulm´s Geschichte schon das Erbgesundheitsgericht Ulm gegeben habe. Über 150 psychisch kranke Menschen aus Ulm wurden im Zeitraum von 1934-1945 ermordet, 1500 Menschen zwangssterilisiert.Es ist kein Zufall,dass Adolf Hitlers Erlass, unheilbar Kranke, worunter unter Umständen auch psychisch kranke Menschen gezählt wurden, den „Gnadentod zu gewähren“ auf den Tag des Kriegseintritts Deutschland am 01.09.1939 fällt. Die wissenschaftlichen Gedanken als gut bewertetes menschliches Erbgut zu fördern und als schlecht bewertetes Erbgut auszusondern waren der fruchtbare zeitgeschichtliche Boden in den die vom gesellschaftlichen Wert für die Volksgemeinschaft ausgehenden Selektionen der NS-Ärzte vielen.

Kriegerische Integration führte zu Exklusion von unproduktiven Minderheiten

Sonja Eilks, von der ig mittendrin, einem Zusammenschluss Ulmer Organisationen im Bereich Soziale Arbeit und Selbsthilfe knüpfte den Faden der Vergangenheit unter dem Stichwort Inklusion an die bundesdeutsche Gegenwart an. Arbeitsunfähigkeit, Bildungsunfähigkeit und Zukunftsunfähigkeit sind im Nationalsozialismus die Kriterien gewesen um einem psychisch kranken Menschen zunächst das Recht auf körperliche Unversehrtheit(Zwangssterilisation) und dann auf Leben(Tötung) absprachen. So wurden im Laufe des NS-Regimes in Deutschland 400000 Menschen aus Heilanstalten zwangssterilisiert und 200000 ermordet. „Die Erinnerung daran ist unverzichtbar, um unseren heutigen Umgang mit Behinderung und Krankheit, über Exklusion und Inklusion nachzudenken und sich für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe einzusetzen“, definiert die ig mittendrin ihr Ziel im Flyer zur Ausstellung.Das ein Hauptträger der Ausstellung die DGPPN, die Deutsche Gesellschaft Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde ist,war bis 2009 noch nicht denkbar. Denn erst seit dem arbeitet die Organisation die Mitverantwortung ihrer Vorgängerorganisationen in der nationalsozialistischen Gleichschaltung auf. Die Ausstellung beleuchtete persönlich die Vita von Tätern(Verwalter, Krankenpfleger, Psychiater, Neurologen) Opfern(Schizophrene, Epileptiker, Alkoholkranke, Manisch Depressive) und Opponenten(Kirchenvertretern).

Das Innere und das Innerste: Individuelle Würde und gesellschaftlicher Wert

Die Kirchen deren Weltbild vom wissenschaftlichen dahingehend abweicht, dass sie Menschen nicht nur einen Wert in Beziehung zu anderen Größen wie Gesellschaft oder Gemeinschaft beimessen, sondern eine unantastbare Würde wehrten sich auf verschiedene Weise gegen die 1940 als T4 bezeichnete „Geheime Reichssache“ der Euthanasie an psychisch Kranken. Das Aktion T4, durch eine mutige Predigt des katholischen Bischofs von Münster Clemens August Graf von Galen gestoppt werden konnte, hängt wohl damit zusammen, dass Hitler nach dem Beginn des Russlandfeldzuges 1941 eine geschwächte Position im Deutschen Volk hatte und somit bei Beibehaltung des in weiten Kreisen abgelehnten Euthanasieprogrammes um die Sicherheit im Inneren fürchtete. Die evangelische Kirche befürwortete jedoch die erbbiologische Ausrichtung des Reichsanstaltswesens, inklusive der Zwangssterilisationen, sie Tötungen hingegen verurteilte sie.Um die Machteliten der verhandelnden Geistlichen zu schützen untersagten sie offene wie verdeckte Unterstützung der „geringsten Knechte.“ Die Aktionen wurden später unter anderer Regie weitergeführt, das lebensgefährliche und manchmal auch tödliche Bestreben weniger, eine ungeliebte Minderheit zu retten war misslungen. Die Anstalten verbrachten die als lebensunwert erklärten in Vergasungsanlagen wie in Grafeneck bei Münsingen oder gaben ihnen tödliche Spritzen oder Kuren um ihren „Gnadentot” herbeizuführen. Unter Angaben falscher Todesursachen wurden die Angehörigen informiert. Die Bestattung der Urnen erfolgte kostenfrei.

Ein Gedanke aus der Predigt des Bischofs von Münster am 03.August 1941 sei hier als Anregung für das Nachdenken über die Gegenwartsgesellschaft der Externalisierungen zitiert:

„...Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den unproduktiven Menschen töten darf, dann wehe uns allen, wenn wir altersschwach werden! Wenn man den unproduktiven Menschen töten darf, dann wehe den Invaliden, die im Produktionsprozess, ihre Kraft, ihre gesunden Knochen eingesetzt, geopfert und eingebüßt haben! Wenn man die unproduktiven Menschen gewaltsam beseitigen darf, dann wehe unseren braven Soldaten, die als schwer Kriegsverletzte, als Krüppel, als Invaliden in die Heimat zurückkehren…“

Author: farounfirewater

Ich bin der Falke im Sturm der den König sucht. "Ich lebe mein Leben in sich weitenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn, Den letzten, ich weiß nicht ob ich ihn Vollbringe, aber versuchen will ich ihn Ich kreise um Gott um den uralten Turm und ich kreise Jahrtausende lang und ich weiß nicht, bin ich eine Falke, ein Sturm, oder ein großer Gesang" (Rilke)

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