Ukraine-Festival

Liebe und Kunst-Wollen als Bollwerk gegen die biopolitische Isolation?

Schon 2015 lernte ich mit den Damaszener Brüdern Sami und Mohammed, freiheitsbewegte Flüchtlinge im Alb-Donau-Kreis kennen, das machte mich auf dieses Ukraine-Event im grenznahen Gleis gespannt.
Sergi Zhadan gibt etwa mit “Bela Ciao” einen Eindruck vom Enthusiasmus des ukrainischen Überlebenskampfes in Untergrundstationen in Charkiw. Im Internet sieht die so benamte Berühmtheit jedoch anders aus

25.02.23

Heute Abend wird es in Ulm ein klassisches Benefizkonzert zu Gunsten der Betroffenen des Russland-Ukraine-Konflikts unter dem Titel “Zuversicht” geben. Von 28.-30.10.22 war die wohl bisher größte interaktive Veranstaltung mit dem Ukraine-Festival, wo es Kunst von Ukrainern und Ukrainerinnen, Musik und auch Lesungen, allen voran von der in Wien lebenden Ukrainerin Tanja Malyartschuk. Ein Jahr nach den vom Präsidenten der russländischen Föderation fast zeitgleich scharf konturierten Kommunique zur Anerkennung der Separatistengebiete Donec und Luhansk und dem Überraschungsangriff der an der Grenze zur Ukraine aufmarschierten russländischen Föderationstruppen aus vier Richtungen, war am 24.02.23 im Gleis 44 Decadance. Eine Tanzveranstaltung mit sprachspielerischem Namen. Decadence im nietzscheschen Sinne, als Auflösung tradierter Beziehungs- und Sinngebungsmuster möchte ich in diesem Bericht von kulturrevolutionären Tendenzen als positive Grundgemeinsamkeit moderner Zeitgenossen auf allen Seiten der Auseinandersetzung benutzen.

Den Lack hab ich von nem londoner Künstler abbekommen der viel in Mali war und den ich beim crossmedialen Jam im Moosspace in Berlin kennengelernt hab

Underground, Musik und Zivilcourage

Spruchband Großdemonstration: Aufstand für den Frieden, 25.02.23 Berlin

Charki(o)w.25.02.22

Serghi Zadan, der gerade noch in einer Vorlesung in der ukrainischen Bildungsmetropole war bekommt von seinem Prof. eine russische Pistole in die Hand gedrückt. Der Professor wird in der 2. Verteidigungswelle der ukrainischen Territorialverteidigung uns leben kommen. Sergi Zhadan, so Thomas Kinne in seiner Einführung, hat keinen Schuss aus der Pistole abgegeben. Bekannt wird er als Sänger in den Luftschutzkellern, seiner Stadt, die er Charkiw nennt. Er hat bei der Rettung von Freunden als sein Auto von russischen Invasoren beschossen wurde einen Finger verloren. Ich habe Sergi, ohne seine Geschichte zu kennen bei den Proben zu “Bella Ciao” singen hören.Kein Wunder schreibe ich den Bericht vom Oktober 22 erst Monate später, denn Abgrenzung oder gar multiperspektivistische Berichterstattung wurden an diesem erinnerungs- und denkwürdigen Abend jäh und taumelnd in das hineingemischt, was Nietzsche das Dionysische zu nennen pflegte.

Die gegenwärtige afghanische Flagge auf einem Interface für Geldtranfers einer Münchner Bank. Laut Andreas Zumach hat die USA, die Hälfte der 3.5 Milliarden eingefrorenen Dollar von Afghanen an die Opfer der Anschläge des 11.09.01 in New Jork gespendet.

Die Geburt der Nation aus dem Geiste der Musik?

Bariton Sergey Ivantschuk und Freunde erzählen in alten Volksliedern von der Taufe der ersten Rus am Dnjepr und versetzten den Dancefloor in furios revolutionäre Gemeinschaftswallungen

Kinne umschreibt Zhadan in seiner Eröffnungsrede des Festivals wie folgt:

“Zhadan hat keinen Schuss aus der Pistole abgegeben und doch die Freiheit der Ukraine mit Geist und Literatur als Waffe verteidigt. Er hatte Gedichte in Luftschutzkellern gelesen und mit Bedrohten und Verängstigten, sich auch die eigene Angst vom Leibe gesungen und mit seiner Rockband die Moral in den Undergroundstationen von Charkiw aufrechterhalten, so dass er jetzt schon Kult ist…” Eigentlich sollte das Ukraine-Festival ein panslawisches internationales Festival werden, mit Untergrund-DJ’s aus Prag, Moskau und St.Petersburg. Auf meine Frage, warum er nicht “grad zom Bossa” Leute quer der künstlichen und realen Diskurs- und Territorialgrenzen eingeladen habe meint Kinne, die Wunden seien dafür noch zu frisch. Es ist die Zeit in der der ukrainische Stern durch das Zum-Stehen-Bringen der russländischen Offensive in und um Kiew wieder aufzusteigen gelernt hat. Männer wie die Klitschkos in Kiew und Wolodymyr Selensky werden im Spiegel zu den Unbeugsamen stilisiert.

Gesänge der Menschheit. Hymnen der Schlacht

Der Koloratursopran Marina Zupko beim Vortrag der Ukrainischen Nationalhymne im Gleis 44 hatte seinen Namen verdient, man empfindet die melodiöse Lieblichkeit die der ukrainischen Zunge vor der starken russischen Sonanz nachgesagt wird

Jetzt singen sie die ukrainische Nationalhymne und das vorher gefühlte Gefühl der Immersion verstärkt sich, ohne bedeutsame Worte zu einem Schmelztiegel aus Tränen, Lust, Sehnsucht und alles durchwärmendem roten Bühnenlicht. Wie ein Mann antworten die über 50, meist ukrainisch- oder russischstämmigen des Beseelungskollektives, wo sonst der decadence-Dancefloor ist, die Skandierung: Slava ukraina! Nach dem volksverstärkten Echo: Slava ukraina, sagt Sergi: Heroem Slava. Eine geradezu vergemeinschaftende Stille setzt ein.Blicke treffen sich, Augen zwischen lachen und flennen, ich renne raus. Wo ich Lys treffe, die lebensfreudige Mitzwanzigerin ist sichtlich nicht aus der Ukraine, vielmehr vermag unser Kennenenlernen die gewaltige Überspanntheit der Atmo in etwas erotisch-spielerisches zu übersetzen. Wie gerufen kommen da die Interviewer von Donau 3 FM. Es bleibt uns jetzt wo wir in dieses Dionysische hineingezogen worden sind nichts anderes als unsere ebenso bedrohte Kultur des Liberalen Nonkonformismus zu verteidigen. Wir tanzen, überflirten abgesteckte Grenzen provozieren uns. Sie haut all ihre Munni raus um den Kapitalismus zu feiern, ich votiere wie Cattilina für den Kommunismus jenseits von Staat und Geld. Sie aber verliert sich im Getümmel als ich mich weigere ihr ein Getränk zu zahlen. Russen und Ukrainer wurden dem Nationalmythos Russlands nach am Dnepr getauft. Dem Fluss an dem mit dem Donbass zusammen das größte Industriegebiet der Ukraine in einer steinkohlereichen Region ersteht.

Die Subkultur von heute, die Hochkultur von morgen

Wie beim Ukra-Festival so war die “Superpower” Selensky auch bei der Berlinale 23 dem “Friedens-Pennclub” an fame weit voraus

Ich habe einen Hass auf Lys, in den Boxen dröhnt nun Techno aus Kiew. In mir halt ihr: “el pueblo pertenece unido”. Und ich besinne mich auf den “besonderen Schneis” den die Dürstende mir zugesprochen hatte. Eine waschechte Panamena mit Doppelvor und Doppelnachnamen. Und ich ein geiziger Schwob.Jetzt muss ich tanzen, auch rezitiere ich Rilkes erstes Sonnett an Orpheus: ” Es steigt ein Baum, oh reine Übersteigung….Winke, Drehungen Paartänze die sich auf das Weite wieder öffnen und dann kommt der Klassiker. Beim Firestarter von the Prodigy hat wohl Slava Ruzhynski die Finger am Pult. Ich begegne Sascha und Irina im wortlosen Reigen verstärkt vom mitgebrüllten Refrain. Ein Metal-Pärchen aus Mariupol. Draußen reden wir. Irina zeigt mir wieder und wieder dieses Bilder von anonymen Kreuzen über ukrainischen Nekropolen.Irgendwie ist meine Radikalität ihr ein Anker zum Schluss muss der harte Sascha sie von mir wegreißen. Der Vater aller Dinge ist der Krieg. Denke ich.Transformationsraum schießt es mir wie eine Leuchtreklame aus dem Hotel California durch den glühenden Brägen.

“Die Menschen bewegen sich noch immer zwischen der Kriegsrealität und den Gedanken an die Vorkriegszeit, es ist extrem schmerzhaft ständig über scharfe Ecken zu stolpern und in die Falle von Illusionen zu tappen.Aber das Schlimmere ist, wenn du nicht einmal die Möglichkeit hast, das zu sagen.”(Sergi, Zhadan)

Sergi meint auch dass es keinen Frieden ohne Gerechtigkeit gebe, ohne die Freiheit des ukrainischen Volkes, der ukrainischen Sprache und des ukrainischen Geistes.Ich fühle ihn, jetzt wo ich mich dessen erinnere wieder und ich schaue mit einer kämpferischen Zuversicht auf die neuen Flüchtlingscontainer.Aus Damaszenern sind Freunde geworden, bevor sie wieder zu Arbeitern und Privilegierten mutierten. Warum die Liebe den Idioten überlassen…

Freiheit,Leben,Frau Demonstration von Exil-Iranern zur 59.Münchner Sicherheitskonferenz, Opernplatz

Bei LG in Berlin treffe ich einen Ukrainer und einen Perser beide kämpfen für das grenzenlose Leben nicht für eine Nation

(Farounfirewater, 25.02.23 auf dem Weg in den Keller)

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Ein nicht zu beherrschendes Element im ICE nach Ulm

Thatagatha gate, gate, paragathe bodhi soha- Oh Bodhi, hinüber, hinüber, hinüber zum anderen Ufer, gelandet am anderen Ufer, Soha

Wenn das Haus brennt läd man keine Gäste ein(politische Weisheit)

“Große Teile der Bevölkerung von Nordamerika,Südamerika, Australien und Afrika sind versklavt und vernichtet worden.Das ist der Schatten der Aufklärung, ohnegleichen und immer noch weitgehend unberücksichtigt im Selbstverständnis des “Westens.””
(Tsafrir Cohen, medico international Rundschreiben 03/22)

“Ein Schuldenerlass für die ärmsten Länder ist die zentrale Voraussetzung für emanzipatorische Veränderungen: Das Multiple Krisengeschehen hat zur Überschuldung von mehr als 40 Ländern geführt, die zur Abfederung des Katastrophengeschehens und teurer Energieimporte gezwungen sind immer neue Schulden aufzunehmen.Die von medico unterstützte Debt-for-Climate-Campaign will diesen Kreislauf durchbrechen und nimmt diese Forderung aus den späten 1990er-Jahren wieder auf.”
(Anne Jung, medico international Rundschreiben 03/22)

Bin ich eigentlich schon mal im ICE gefahren?
Während Scholz und Macron angeblich in Paris ein Tete a tete haben, fehlt mir mein Protestmilieu und der Zeichenschatz, das französische Wort recht zu schreiben.Ein Globalisierungsverlierer und Drittweltler mitten in der ersten Welt.
Die Frau rechts neben
mir liest ein Buch mit dem Titel:
“Mehr Mut als Kleider im Gepäck”, ein paar Abteile weiter sitzt einer von der DPA und noch weiter weg wälzt einer einen dicken Schinken über Hammarskjöld, wie schreib sich der nochmal?
Neben mir sitzt ein japanisch anmutender Mensch der einen Film auf dem Händy schaut. Er hat es zur besseren Sichtbarkeit des Bildes an seine schwarze Funktionstasche gelehnt.Mglw. wurde er auch von der  blond gefärbten Frau mit matt-rosanen Kopfhörern, seit dem Aktionstraining der “letzten Generation” ; weiß ich, Kopfhörer stehen für Nicht-Gewalt, und ihrem moosgrünen dickmaschigem Rollkragenpulover angezogen.(Ansage:” Bald erreicht der  Zug Kassel Wilhelmshöhe”, das Mädchen ist ein Brot aus der Plastiktüte.Ich lese über die Documenta 15, die Erinnerung tanzen in meinem Kopf.Jetzt fällt mir wieder ein warum Gemeinschaft Reichtum ist. Ja vielleicht hat er sich ja wegen ihrer schönen runden Gesichtsform oder auch ihren symmetrisch dort hineingewachsenen Augen dort hingesetzt, gerade hier hingesetzt, wo es mich auf dem Weg in die andere Richtung, in der Meditation auf den Herzpunkt, gerade auch hingezogen hat. Vielleicht aber auch, dass kommt mir erst,als ich in der Meditation fortfahre, aber auch wegen der mechanischen Uhr, die sie in Miniatur um ihren rechten Mittelfinger geringt hat, oder auch dem Mondstein am Finger daneben.Ganz zu schweigen von der rechten Hand, an deren Zeigefinger, ein Ring in Form einer künstlerisch durchbrochenen Nadel prangt. Um mein Lob vorerst zu beenden, ist noch zu erwähnen, dass sich ihre am Telefon gewechselten Worte russisch, anhörten, oder sollte man vorsichtiger slawisch sagen.Charkiw oder Charkow, dass ist hier die Frage?
Jetzt kommt im Angesicht des Händies ein mildes Lachen aus ihren Augen,quasi out of the Black Box, das gut zu den weichen Farben ihrer Kleidung passt.Was ist aber mit der Meditation, die hat doch auf Mint und den Herzpunkt begonnen.Mintegration würde der Werbefuzzi sagen.
Jetzt hat sie noch gleichzeitig mit mir die Herbstlandschaft mit schönem See wahrgenommen, diese Frau braucht wahrlich keine Hilfe, mein Handy aber Strom und wir kommen wohl in  1er Stunde und 11 Minuten in Frankfurt an.Ah, schön die Geschichte wiederholt sich jetzt kommt der Marshallplan von Deutschland und geht an die Ukraine. Und hier scheint es keine Steckdose zu geben.Ach ja, der Mann ist jetzt auch am Handy und er hat Feuerornamente als Ohrringe, vielleicht doch ein Tibeter?
Der Japaner, von dem ich in dem Moment sicher war, dass er ein Japaner sei, hatte gerade seine Stiefeletten fast um die Schuhe des Mädchens geschlungen, gut das er beobachtet wird.Jetzt beugt sie ihr rundes gespanntes Köpfchen in die Hand und schaut links vom Fenster weg ins Händy, irgendwie seltsam in meine Richtu g.Der Japaner hat seinen Ellbogen auffällig fest auf die Lehne gedrückt und seufzt.Während er mit beiden Daumen offenbar etwas im Händy sucht.Jetzt legt er es weg und das Mädchen spricht wohl eine Sprachnachricht auf. Von einem Rang hinter uns fragt es: Wie bitte?
Würd ich mittlerweile auch ganz gern wissen.Jetzt muss ich zum Strom auf nehmen auch noch Wasser lassen und meine nackten Füsse werden auch bisschen kalt.Die Macht der Ströme ist wiedermal gegen die Ströme der Macht am Obsiegen und am “Anderen Ufer” der Meditation kommt mir wieder dieses Mantra: “Gate Gate paragate bodhi soha.”

postkoloniale Mintegration:

Der Japaner, der auch ein Tibeter sein könnte war auf Klo, jetzt steckt er wie selbstverständlich sein Ladegerät rechts neben sich an der Seite des Sitzes in die Steckdose ein.Dabei sehe ich, dass er in der Mitte aller Fingernägel senkrecht nach oben weisende schwarze Striche auflackiert hat. Vielleicht ist er doch Widerstandschinese?
Eieiei und jetzt muss ich doch mal aufs Klo und kann die Beschreibung wohl nur mit einem mich die ganze Berlin-Zeit über faszinierenden Zitat aus Jean Baudrillards, seinerzeit Gegenspieler von Foucault in der Französischen 68er Philosophophie beenden. Aber bloß nicht missverstehen gell, wir wollen ja nicht nur die Welt retten:

Auszug aus Withold Gombrowicz,Ferdydurke zitiert nach Baudrillard, Jean: Die Transparenz des Bösen, Seite 184

“Ich bestreite nicht, dass eine Abhängigkeit des Einzelnen vom Milieu besteht, aber weit wichtiger, künstlerisch viel schöpferischer, psychologisch abgründiger, philosophisch beunruhigender ist für mich dies, das der Mensch ebenfalls durch einen einzelnen Menschen geschaffen wird, durch eine andere Person.In einem zufälligen Kontakt.Und jeden Augenblick.Kraft dessen, das ich stets und immer ‘für einen anderen bin’, berechnet für fremdes Sehen, in einer umrissenen Weise nur für jemanden und durch jemanden existieren könnend, existierend- als Form- durch einen anderen.Aber nicht darum geht es, das mir das Milieu Konvenienzen aufzwingt, oder um mit Marx zu sprechen, daß der Mensch ein Produkt seiner sozialen Klasse ist, sondern um die Verbildlichung der Berührung eines Menschen mit einem Menschen in ihrer ganzen Zufälligkeit, Unmittelbarkeit, Wildheit, um das Aufweisen, wie aus diesen zufälligen Verbindungen die Form geboren wird- und oft eine am allerwenigsten vorhergesehene, absurde…Seht ihr denn nicht, daß eine solche Form etwas weit Gewaltigeres ist als eine gewöhnliche gesellschaftliche Konvenienz? Und das dies ein nicht zu beherrschendes Element ist?”

Die Heinrich-Böll-Stiftung, die Stadt Ulm und die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft Ulm und das Gleis 44 organisieren ein an zwei Tagen von 19-5 Uhr ein Festival zur Anerkennung der Ukrainischen Subkultur mit Film, Musik, Literatur und einer Bilderaustellung nach Ulm geflüchteter KünstlerInnen

Links:

medico.de

Debtforclimate.org

Youtubekanal zur COP 27 Klimakonferent:

https://www.youtube.com/watch?v=3bVM0c2bXIU