Hermann Widmaier
Friedrich Hölderlin
1770-1843
Friedrich Hölderlin 1770-1843Erhard
Widmaier
…wandern und dichten weiter
Erhard Widmeier fällt mir im Kantatenchor Laichingen durch die Muschel auf, die er immer sichtbar um den Hals trägt und dadurch, dass er der einzige ist der es sich traut den Dirigentenn von den hintersten Bänken aus zu berichtigen. Auf einem Probewochenende entpuppt er sich auch als Füllhorn von spannenden Ansichten und Geschichten. Eine wird mich nicht mehr loslassen, die Geschichte von seiner Verwandtschaft mit dem Dichter Hölderlin, der wiederum ausgehend von der „schwäbischen Geistesmutter“ Regina Burckhardt mit einem namhaften Netzwerk schwäbischer Geistesgrößen verwandschaftlich verbunden sei. Drei Jahre und zwei Chöre weiter treffen wir uns in Donnstetten wieder. Eine neue spannende Dimension eröffnet sich nun als er erzählt, dass er nach 73 Jahren ohne Partnerin eine solche gefunden habe und zwar aus dem Kantatenchor in dem wir uns das erste mal begegneten. Erhard Widmaier war angesehener Schulleiter an der Schule in Donnstetten, der Ende 2018 nach 50 Jahren größten Engagements verabschiedet wurde. Nun verlässt er sein Haus in Donnstetten und zieht mit seiner Angetrauten Heidemarie nach Waldkatzenbach im Odenwald. Die letzte Chance das besagte Buch über Regina und ihre Ahnenreihe, Dokumente von Albertine Hölderlin, die in die Familie Widmaier im 19. Jahrhundert einheirate und den widmaierschen Lebensstil einzusehen. Die Frage was Hölderlin und Er gemeinsam hätten, beantwortet Erhard Widmaier neben einem Bildnis von seinem Großvater, in dem spielende Kinder auf einer Schaukel in Öl festgehalten sind. „Wir beide haben am Tübinger Stift Theologie studiert und wir haben beide das Studium nicht abgeschlossen.“Erhard hat nach dem dritten Semester Theologie geschmissen, weil er Zweifel hatte, am Ende sei es die Angst gewesen etwas predigen müssen, was er nicht hätte leben können. Er meint Hölderlin habe sein Studium nicht abgeschlossen, was aber nicht stimmt. Schlagende Gemeinsamkeiten wie die Lust am Wandern und auch die am Dichten und Musizieren, erwähnt der langjährige Chorleiter und Kirchenorganist nicht. Der geistreiche und lustige Rentner, der sich in Sandalen immer seinen Bart wachsen lässt, hat in späten Jahren noch den Jakobsweg,die Reise nach Rom und eine Reise in die französische Partnerstadt St. Pierre Mallimart zu Fuß auf sich genommen. Nicht nur die 3600 Km Jakobsweg sondern alle 3 Wege hat er dokumentiert und mit Hilfe des Dirigenten des Donnstetter Männerchores Hartmut Rommel privat binden lassen.
Albertine Hölderlin 1818-1890, Wandbild in Erhard Widmaiers Haus in Donnstetten
Herkunft: Kirchenpflege und die Entstehung von Dichtung
Erhard meint während er die Bildnisse von Albertine Hölderlin zeigt, von Hölderlin unterscheide ihn seine Konstanz im Glauben. Hölderlin habe in einem Gedicht in der antikisierenden Hymne Hyperion geschrieben der Mensch sei wie „Wasser von Klippe zu Klippe geworfen“, so stürze er ins Ungewisse hinab. Genau genommen vergleicht Hölderlin in diesem Abschnitt die „Irdischen“ mit den im Licht wandelnden Himmlischen. Genau heißt der Abschnitt:
„Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.“
Jetzt beginnt unsere Suche nach einem im Glauben gefestigteren Äquivalent der Hölderlinsätze in Erhard Widmaiers Aufschrieben. Nach einigem Überlegen kramt der umtriebige Mann ein großformatiges Buch mit rotem Umschlag heraus, darauf steht in Gold: In Sandalen nach Rom. Die Dokumentation seiner Wanderung nach Rom. Auf Seite 271 ist eine Skizze mit Text zu sehen, er liest vor:
„Wie ein Tröpflein Wasser kamen wir aus Gottes Hand,
flossen, bis uns jede Faser mit dem Strom verband:
Über Felsen stufen rauschten wir hinab,
oft auch träg verweilend, wenn Strömung riss einst ab.
So – bis heut´- noch immer
fließen unsre Tage hin,
bis von fern ein Schimmer
des Ozeans uns glimmt.
Dort, wenn wir hinkommen,
wird die Weite sein,
werden wir dort aufgenommen
in ein and´res Sein?!
Aus der Hand gekommen,
aber nie allein,
immer hat sie uns ganz fest umklommen,
wird uns gnädig sein!“
Der Originalaufschrieb des Gedichtes
entstanden auf der Reise nach Rom an einer Kapelle bei Fribourg
Beim Hören der religiös-philosophischer Poesie verbindet sich etwa aus meiner Recherche mit diesem dichterischen Räsonnement über den persönlichen Lebensstrom. Der Name Widmaier kommt genauso wie Widmann oder Wiedmann von dem alten Beruf des Widmaiers. Der war im Mittelalter in Analogie zum Maier, der Widdummaier, der Gutsverwalter, nur nicht für das Königsgut, sondern für das Widdum, das Kirchengut zuständig war. Hier höre ich einen Verwalter des herausgehobenen Guts, des Geistes sprechen, der sich im Glauben mit dem Fall und in Hoffnung mit der winkenden Auferstehung versöhnt hat. Hölderlins direkte Vorfahren waren Klosterhofsverwalter so wie sein Vater Heinrich Friedrich Hölderlin der 1732 in Lauffen bei Stuttgart geboren nur zwei Jahre nach des Dichters Geburt 1772 starb. Und nicht nur das Kirchengut hält Erhard in Ehren auch das Familiengut ist ihm wichtig. In dem obigen Gedicht geben sich nämlich Hölderlin, der Eindruck von heiliger Architektur und das Gedenken an den Vater die Hand. Es ist der 21. März 2010. Des Vater´s 106. Geburtstag. Am 21. Tag auf der Reise nach Rom-auf der Erhard auch den römischen Ursprüngen seines Heimatortes nachspüren will- ist er bis nach Fribourgh gekommen. Nach dem er in der Kathedrale dort eine Szene der Offenbarung bestaunte ,wo die Verdammten auf Jesu Rechter Seite -der Herzseite- stehen, überquert er jetzt eine alte Brücke über die Glane. Dort entdeckt er eine Kapelle die der Heiligen Antonia, der Schutzheiligen der Zahnärzte, geweiht ist, sie bringt ihn zum Aufhorchen -eine Kapelle der Antonia gewidmet- dass hat er noch nie gesehen.Sein Vater war Zahnarzt, er beginnt die Kapelle zu zeichnen, „die Mittagssonne schönt mir die Situation“, hält er in seinem Büchlein fest.Das Gedicht lehnt sich an das von ihm oben erwähnte Gedicht Hölderlins an. Die Worte fließen und lassen im Hier und Jetzt alte und uralte Zeiten in einem ewigen Bild zusammenfließen, so entsteht Dichtung.
Hölderlins und Widmaiers…
Ein Bild von Hermann Widmaier welches in Erhard Widmaiers Haus hing
Hölderlin hat seine wohl längste Reise 1801 begonnen von Nürtingen nach Bordeaux. Dort sollte er seine letzte Hauslehrerstelle antreten, die er bald wieder aufgab. Von Friedrich Christian Hölderlin ist bekannt das er auch früher schon auf den wegen zwischen Nürtingen und Lauffen beispielsweise, oder nach Tübingen viel gedichtet hat. „Andenken“ gilt als ein Gedicht das seine Frankreicherfahrung am besten widerspiegelt, es beginnt mit dem „feurigen Geist, hat viele Brüche und endet in der Strophe:
„Garonne meerbreit
Ausgehet der Strom. Es nehmet aber
Und giebt Gedächtniß die See,
Und die Lieb’ auch heftet fleißig die Augen,
Was bleibet aber, stiften die Dichter.“
Diesen bekannten Schlusssatz mag Erhard nicht: „Was bleibet aber, stiften die Dichter“, dass sei so unbescheiden und überhaupt habe sich Hölderlin gerne in die Verklärung der Antike verstiegen, er möge es lieber kontinuierlicher und bodenständiger. Und auch die Frauen haben Erhard bedeutend weniger bewegt, Hölderlin´s Diotima, die zum großen Schock des Dichters in der Zeit der Abfassung des Gedichtes verstorben sei, sei eine bereits verheiratete Frau gewesen, was Hölderlin mit seiner Affäre angerichtet hat, hätte er ja auch mal bedenken können, meint Erhard.Die Liebe zu Heidemarie sei jetzt umso schöner nach so langer Zeit alleine, berichtet Erhard.Die Widmaiers stammen aus dem Raum Stuttgart-Ettlingen-Calw, sie haben gemeinsam mit beispielsweise der Familie Essig als Spender der Kapelle ihr Wappen in der Brückenkapelle in Calw ausgestellt. Die Essig haben sich auch irgendwann mit den Hölderlins verbunden. „Ein bisschen Inzucht, fürchtet Erhard könnte da auch im Spiel sein.“ Albertine Hölderlin(1818-1890) hat Christian Widmaier(1815-1868) aber erst Mitte des 19 Jahrhunderts geehelicht und damit das Blut der beiden Familien verbunden.
Gott und Name als Burg
Die Hölderlins kommen laut der Genealogie der Schwäbischen Geistesmutter Regina die Hans Wolfgang Rath 1927 zur Förderung des Familiensinnes und des Bewusstseins des Einzelindividuums schrieb. eigentlich aus Poppenweiler ganz in der Nähe der Schillerstadt Marbach. Der gemeinsame Ursprung von Dichtern und Denkern wie Ludwig Uhland, Friedrich Hölderlin, Eduard Mörike und Wilhelm Joseph Schelling ist laut dem Buch die Ehe von Regina Burckhardt die am 5.11.1599 in Tübingen geboren wurde und Carl Bardilli der am 25.05.1600 in Tübingen das Licht der Welt erblickte. 11 Kinder überlebten die Widrigkeiten des Dreißigjährigen Krieges. Die Burckhardt waren ein altes fränkisches Geschlecht. Die Bardilli flüchteten aus Dole im französischen Burgund 1562 vor Protestantenverfolgungen nach Deutschland. Aus der Linie begründet von der Ehe der Tochter Maria Burckhardt mit Samuel Hof entstammt Ludwig Uhland. Aus der Ahnenreihe der Burckhardt-Tochter Maria Magdalena entstammt Wilhelm Joseph Schelling. Was zunächst nicht zu vermuten ist auch die Kinderlosigkeit eines Burckhardt hat der Familie zum Gedeihen gereicht, denn ein begütertes Mitglied des Klans hat eine Stiftung ins Leben gerufen, welche vielen seiner „Nachkommen“ zu Gute kam. Aber auch das hat Erhard im Blut, die Widmaiers waren über hundert Jahre lang Wirte, Bierbrauer und Metzger in Magdstadt. Vielleicht kommt daher die Erdung bei Erhard, welche dem bekannten Verwandten angeblich fehlte auf einer Huldigung der Burckhardt heißt es über höchsten Namen:
Des höchsten Name ist gleich einer Burg gebauet
auff Felsen/ wer Gott recht in aller Noth vertrauet/
der stehet fest/ wann schon die Sturm-Wind hefftig weh´n/
So bleibt der Gläubige doch auf dem Grunde steh´n
Wann auch es hart hergeht/ das Meer und alle Wogen
Hochsteigen/ wird ein Christ von Gott nicht abgezogen/
Er ruht in Gott/ und Gott ist seine Zuversicht/
Sein Trost in aller Noth/sein Schild/Sein Heil und Licht.
Diß hat BURKHARDI G´schlecht schon längsten wohl erfahren/
GOTT hat dasselbige beschirmt in vielen Jahren:
Es stunde Felsen gleich und wie ein festes Schloß/
Wie eine starke Burg in Gottes Schutz und Schoß.
Davon zeigt diese Schrift/ es ist ja doch zu mercken/
Wann GOTT sich offenbahrt in sondern Gnaden-Wercken.(…)
Und er wandert und dichtet weiter

Dieser Glaube einerseits an Gott und andererseits das Ehren der Ahnenreihe gibt Erhard diese Festigkeit im Fluss der Zeit die sein Gedicht so schön einrahmt. Die Muschel trägt Erhard immer noch, vielleicht ist es eine Erinnerung daran niemals stillzustehen. Doch zum Schluss soll mit einem seiner Verse an seinem feinen Humor und seinen Sinn für das Wesentliche im Leben erinnert werden. Voller Vorfreude auf seine wachsendes Domizil mit Heidemarie in Waldkatzenbach im Odenwald schüttelt er beim Abschiedsempfang in Donnstetten die Hände die ihn vielleicht manchmal davon abgehalten haben den Schlussvers zu verwirklichen.
Warum denn immer eilen?
Besser mal verweilen!
Morgen ist heute schon gestern;
Vergänglichkeit und Zeit sind Schwestern!-
Was vor Menschen scheint beständig,
ist in Wahrheit wetterwendig-
was doch bleibt ist Gott allein
und auch das, was Gott bescheint.
(Erhard. F. Widmaier: In Sandalen nach Rom, S.141-142)