Mein langsamer Ferrari

Eine lyrisch-musikalische Selbstdekonstruktion


Vier Männer, ein Sprecher Jörg Neugebauer, drei Musiker, E-Bass ,Reinhard Köhler, Schlagzeug, Armin Engeter und Andreas Heizmann am Baritonsaxophon und verschiedenste Klarinetten trafen sich auf der Bühne der Theaterwerkstatt Ulm um durch Musik und Poesie ihrem Lebensgefühl und ihrer Weltdeutung Ausdruck zu verleihen.„Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten“, meinte einst Ludwig Wittgenstein, dieser Satz könnte als eine sehr ungerechte, weil auf die bewusste Bedeutsamkeit abgestellte Zusammenfassung des Abends in der Theaterwerkstatt Ulm sein. Ungerecht konkret weil der dem Sprecher gehorchende Ferrari und all seine anderen Symbole und Allegorien der Stimmungen bedurfte, welche die Musiker hervorzubringen vermochten. Vor einem Jahr hatten sich der Lyriker Neugebauer und der bemerkenswerte E-Bassist Köhler getroffen um Fäden der Zeilen und Wellenverläufe der Klänge in eins zu bringen. Nach und nach kamen die beiden anderen Musiker hinzu. So begann das Kunstwerk auch in dem zwei rot gekleidete Männer, einer mit einem Bart wie ein umgekehrter Dreizack des Neptun, Luftröhren kreisend, windhafte Töne erzeugten.

Vater Aether

Dann trat ein distanziert wirkender Mann vor ein Mikrofon.“Ach tut die Seeluft gut“, deklamiert er zunächst, dann merkt er: „Aber ich bin ja im Wald“, verblüfft sammelt er sich wieder atmend aus Geisteswirren, „aber die Luft, die Luft, die tut trotzdem gut.“ Stille und nachklingen der Luftschläuche.In diesem ersten Stück wird die Luft und damit auch der Klang ins Wesentliche gehoben, die Orte, werden zu reinen Kulissen des uns zuträglichen Strömenden. Auch die S-Bahn als modernes Mittel zum Zweck wird in einem klanggebetteten Traumbild von einem Geigenbauer mit Violinschlüssel aufgeschlossen, während fahren zu Sein wird, indemfall zu Gesang. In Sätzen wie „wir fahren gemütlich während wir singen und zaubern uns Hüte weil wir Kaninchen sind, die Ohren eingeklemmt in die S-Bahn“ zeigt sich die alte Wege romantisch-ästhetisch ablehnende Warte des „age of aquarius.“ Der 1949 geborene Neugebauer hat schon in den 70ern Gedichte über Entgrenzung in Sex und Musik geschrieben. Doch es kommt noch das Mädchen hinzu, dass das Hippi-Schauspiel wie einen Film konsumiert. Ein Bild für Entzauberung. Und doch verströmt die Musik, wie aus der Anderswelt, einen Zauber wie bei Schubert´s Liedern. Das märchenhafte bekommt etwas surreales und das Surreale wird durch die emotionslose Distanz und Klarheit der neugebauerschen Lyrik und Diktion konstruiert und dekonstruiert.

Der langsame Ferrari als Herrschafts-Zeug

Ohne das Bett aus Klang und die Gestimmkeit des Humorigen wäre dieser hochprozentige Cocktail vielleicht manchem zu viel. Auch der langsame Ferrari, würde ohne dieses Netzwerk aus dichtender Kontraktion(Sprecher) und denkender Extraktion(Zuschauer) das durch die Ströme von Musik fließt auch getränkt wird, ohne Sprit da stehen. „Mein langsamer Ferrari“, kündigt Neugebauer an: “Sag, ich Ferrari lauf, dann läuft er. Wenn ich sag steh, dann steht er“ ,„Manche sagen mein langsamer Ferrari ist Kunst.“Gekonnt arbeitet Neugebauer mit Wiederholungen. Um dann zum Schluss zu sagen. „Immerzu bleibt er stehn mein Ferrari.“ Das Ferrari-Fahr-Zeug als Symbol der herrschenden Macht wird hier mit dem Wort langsam konterkariert. Man kann dabei auch an die leise und zurückgenommene Musik von Köhler und Co. denken, Kunst als Zurücknehmen des eigenen Vermögens im Dienste der ruhebedürftigen Menschheit. „Kunst ist mein langsamer Ferrari.“ Lebenskunst, möchte man dazu sagen. Auch der eigene Kopf, den man bei dem ehemaligen Lehrer, laut eigener Aussage, als kaputt wähnen könnte, erfährt in einer Nummer eine Abwertung. „Ich habe einen billigen Kopf, gestern war er noch teurer. Doch was kümmert mich gestern, heute, heute“. Im Hintergrund abgründige bis verstopfte Töne von der prägsamen riesigen Kontrabass-Klarinette von Andreas Heizmann, der mit einer riesigen Präsenz begleitet. „Heute ist er billig, greifen sie zu bald ist er weg, preist Neugebauer seinen Abschluss nach oben an.

Den Morgen zur Tüte falten und in die weiche Nacht

Pure Präsenz und Spielfreude beim Jamstück. Immer aber Präsenz und Eingestimmtheit der Ton-Werker auf auf das neugebauersche Sprech-Werk ergaben das Kunst-Werk

Ein bisschen politisch aber in abstrakter Erhabenheit wird es beim Tugendmop.In bekannt lakonischer Weise berichtet Neugebauer von seinem Tugendmop.„Ich habe mir einen Tugendmop zugelegt, den Mop gegen politisch inkorrekte Gedanken. Bevor ich mich äußern kanngeht der Mop dazwischen und mopt und mopt.“ Herzfates Gekicher, währendder schlacksige Mann mit der beschlagen scheinenden Brille weiter erzählt. „ Nochmals im Preis gesenkt.“ Dann eine Wiederholung des ersten Textes. Ein sehr prägnantes Stück unverstrickter Nonkonformus, vom Publikum auch nach der Aufführung noch gefeiert.Eine glänzende und skurille Allegorie zur Alltagsbewältigung ist auch „ Den Morgen zur Tüte falten.“ Mit dem auf den Kopf gesetzten gefalteten Morgen fährt das Lyrische Ich nun Straßenbahn um ausgestiegen die Tüte abzusetzen und dem Mittag entgegen zu schreiten. Auch hier ist die minimalistische Klangumgebung nicht eine wahllose Improvisation sondern bildet ein Text-Klang-Gefüge als integralen Bestandteil der Gediegenheit des Kunstwerks. Etwa so wie Nacht und Tag.”Die Nacht” ist das vielleicht am wenigsten dekonstruktive Stück des Abends und atmet daher eine ungebrochen strömende Poesie. „Die Nacht könnte noch schöner sein als der unsichtbare Tag. Weit und weich ist sie und sie hat immer Zeit, das ist vielleicht dass Beste an ihr“, spricht Neugebauer, auch ein bisschen angeturnt vom Strömen der Klänge. Doch seine sprachlich-geistige Distanz geht nicht flöten. „In der Nacht hat niemand Geburtstag“, welch ein Satz. Dunkel und potentiell, man weiß das er Wichtiges anspricht. Und dann die Wiederholung, schon ein bisschen verstandener. Eine tolle Performance für den der sich selbst und seine Welt verstehen will.

Liquit Lillith und das Gewehr

Es gäbe noch einiges zu sagen zu diesem klingenden Konzept aus Stimme und Klang, wäre es das letzte seiner Art gewesen. Dabei wird es ja neu aufgeführt. Die vielfältigen Instrumente von Klangschalen über Gongs, Rahmentrommeln bis hin zum kurios das Wasser erklingen lassenden Waterphone. Der Abschluss des Berichtes gebührt einem nach der Pause mit einer Tanz-Choreographie der vier Damen von Liquid Lilith vermählten Gewehr. Lilith als Symbol der weiblichen Kraft hat ihren Namen übrigens auch von der Luft. Im Gang der Theaterwerkstatt trafen sich die Darsteller und Zuschauer.In seiner eiseskalten Art begann Neugebauer: Ich habe gerade das Gewehr geputzt mit dem ich mich erschieße, sonst wäre ich immer der selbe und das wäre schlecht für die Anderen“, die Tänzerinnen machten in Formation eine abweisende Geste. Er erschieße sich aus moralischen Gründen. Jeder solle sich öfter mal erschießen, empfahl er. In dieser Nummer kulminierte nun die Dekonstruktion von Ansichten und Deutungen in eine Destruktion des Eigenen. Die Mehrdeutigkeiten und Verwandlungen der vorigen Nummern zeigten hier auf den Kern des Unmoralischen, die eindeutige, keinen Unsinn verstehende Persönlichkeit. Welche sich dann auch nicht als billig, oder erschießenswert ironisieren kann, sondern den Ferrari des eigenen Zeugs und Gehabes voll ausfährt. Das Ichaber, welches Neugebauer ins Schaufenster stellte, war ein gebrochenes, selbstironisches, welches zwischen null und zero anstrebt, durch gelegentliche Selbsterschießungen, wenigstens für die anderen genießbar zu bleiben. Der Abend war ein Kunstwerk in dem Sinne, nicht das er die Wahrheit nachahmte, sondern in dem Sinne, dass er vielschichtig und gekonnt ins Werk setzte wie die Dinge wirklich sind.Zumindest bis zur nächsten Erschießung.

Nächste Aufführung: 22. März in Schäfers Kulturstadl in Wain südlich von Ulm

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Author: farounfirewater

Ich bin der Falke im Sturm der den König sucht. "Ich lebe mein Leben in sich weitenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn, Den letzten, ich weiß nicht ob ich ihn Vollbringe, aber versuchen will ich ihn Ich kreise um Gott um den uralten Turm und ich kreise Jahrtausende lang und ich weiß nicht, bin ich eine Falke, ein Sturm, oder ein großer Gesang" (Rilke)

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