Chorklänge weltweit in der evangelischen Pauluskirche Ulm


Viel Grund zur Vorfreude auf So Nah So Fern gaben die letzten Konzerte des Ulmer Chores Klangreich unter dem Motto „Garten meines Lebens“ 2017. Auch der Aufführungsort in der Pauluskirche, die wegen ihrer guten Akustik als die Konzertkirche Ulms gilt, stimmte einen gespannt. Der Dirigent des Konzertchores Klangreich Markus Romes gilt als Perfektionist und harter Arbeiter an seinen teils visionären Konzepten. Als man am Abend des 09.12. die imposante Kulisse der 1909 erbauten evangelischen Garnisonskirche erblickte und zwischen robusten Arkaden in der Mitte ein Bildnis des Herrn sehend aufblicken durfte zu dem modernen bunten Bildnis der Offenbarung, darüber fünf Fenster, war die Vorfreude kolossal. In diese Raumesfülle zog nun ein Chor in der ersten Reihe im Spektrum zwischen rot, orange und gelb, in den Farben eines Sonnenaufganges gekleidet, der seine Strahlen links und rechts ausbreitete. In dramaturgisch intelligenten Stellungen sollten die 39 Sänger noch öfter für Abwechslung jenseits des Gesanges sorgen.
„Past life melodies“ zog nun wie ein sanfter vorweihnachtlicher, noch vorsprachlicher Hauch in die gespannte Kirche ein. Der vollendeter Chorklang viel keineswegs hinter der baulichen Substanz ab. Nein die zarten vokalischen Kompositionen wechselten einhellig zwischen den Lautqualitäten und das letzte jä, jä, jä bildete harmonisch schon den Tonfall des schwedischen Allt Är Nära vor. Zum Schluss des Liedes erhob sich dann Timber A. Hemprich´s Obertongesang unterstützt von Chor-Bass Matthias Mehne. Als ob man ansänge was zwischen den Sternen ist tönte diese hochfrequente Gesangstechnik unterstützt von der Präsenz und den zum Mudra zusammengeführten Daumen und Zeigefingern des präsenten Stuttgarters. Um einen 23 Stücke und 7 Nationen weiten Spannungsbogen zu halten kam zu den wechselnden Choraufstellungen die Sprecherin Margarete Lamprecht. Sie führte mit den berührenden Worten: „Alles ist nah, Alles ist weit von mir, und dennoch nah. Bald wird es mir genommen-dennoch-jetzt nah…“ in das Thema So Nah So Fern ein.Fern: „Die zwei blauen Augen“ aus den fahrenden Liedern des Gustav Mahler, zogen die liebende Seele auf die Wanderschaft, in die Natur, das Abenteuer. Dieses entbrannte in den „flackernden Flammen“ des Zigeunerlebens von Robert Schumann vollends.Mal mystisch, mal tänzerisch, mit klarer Phrasierung und den Stoff verstehend vorgetragen, war das Zigeunerleben ein Glanzlicht des Konzertes. Die beiden Lieder waren in ihrer vollen Klangkraft genau richtig in der Kirche mit den granatenförmigen Türmen. Und man spürte auch, das Liedgut, welches hier schon lange lebt auch auf einen breiteren Seelengrund stößt.


Die Tiefe des Nationalen, die Sehnsucht nach dem Internationalen
Das im Individuum, welches sich nicht identitär selbst limitiert hat, durch alte Völker und ihre Musiken, noch tiefere Schichten der Seele angesprochen werden, zeigte das Stück die „Schöne Nacht“ von Thiamin Liuj.Vorher bekommt die Sprecherin einen Glückskeks von Erhu-Spieler Yueliang Li,daraus verliest die Schöne eine Weisheit des Konfuzius: „Was du liebst das lasse frei, kehrt es wieder gehört es dir für immer.“ Danach entführte der berüchtigte Yueliang Li in die feine Klangwelt der zweiseitigen Erhu auf eine Weise das einem nicht das hören aber das beschreiben verging. Das einzige Mal im Konzert bedankte sich der Dirigent mit vor der Brust zusammengeführten Händen sich verbeugend bei einem Solisten. In Värmlandvisan kehrte wieder das warmherzige, leise der ersten beiden Lieder und auch der Obertongesang, bei dem man dieses mal ans Polarlicht dachte. Auch die Inhalte von Liedern wie dem litauischen Volkslied „Es gulu gulu“ wurden durch die Vorspiele von Margarete Lamprecht und Helfern besser verständlich. Ein nahes und doch fernes Highlight war dann der Sehnsuchtssong aus den Alpen„Weit weit weg“ von Hubert von Goisern. In die 90er versetzt, bracht der Text in Analogie zu den eröffnenden „Zwei blauen Augen“ tiefere Schichten der Sehnsucht im Empfangssaal der romantisch-modernen Kirche auf. Text und Ton perfekt intoniert bei einem Stoff der schon bekannt war kam die Pauluskirche in innige Schwingung.

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Das gebrochene Herz als Initialzündung zur selbstlosen Extase
Ein weiterer Dammbruch in Richtung Nähe, war das Margarete Lamprecht sich während einem ausgedehnten Frustlebkuchenessen dazu durchrang sich das Herz jetzt doch von ihrem Geliebten brechen zu lassen, was sie ja ursprünglich als „heiliges Örtchen“ für sich behalten wollte.In großer Charakterdifferenzierung, Inbrunst und feiner Ironie wob Lamprecht einen glänzender roten Faden durch die Aufführung. Nun zeigt sich der Chor wieder anders verteilt, es sind sich zugewandte und abgewandte Pärchen aufgestellt während „And so it goes“ von Billy Joel gesungen wird. Ab jetzt wächst der Chor bei Liedern wie Engel, die als schwierig für Chorarrangements gelten, über sich hinaus. Dramaturgisch perfekte Textaufteilungen zwischen Männern und Frauen,ein tolles Intro von der Sprecherin und eine äußerst klare Phrasierung.Die Männer machen die Beatbox und der Sopan singt: „Erst wenn die Wolken schlafen gehen, kann man uns am Himmel sein.“ Schaurig schöne prägnante Kontraste.
Iuppiter-Chor: eine koordineierte Entladung
Die temperamentvolle hymnische aber melancholische Stimmung bei der „Hymne des (heiligen) Chrysostomos“(griechisch für Goldmund) von Tschaikowski führt hin zum unangefochtenen Höhepunkt des Abends, dem felsensprengenden „Iuppiter“, bei dem man sich fragt wie ein Laienchor solch eine komplexe Stimmführung mit solch heftigen gesanglichen und sprachlichen Herausforderungen so klar und packen darzubringen im Stande ist? Hier zeigt sich wohl die Handschrift des Perfektionisten Romes am deutlichsten. Die Übersetzung des lateinischen Textes und die Erinnerung an die Bedeutung des Jupiter im alten Rom von Margarete Lamprecht helfen das das gewaltige Klanggefüge den Zuhörer nicht vollends überfährt. Romes, der seit ein paar Liedern mehr tanzt als dirigiert stößt zu Beginn von Iuppiter mit den Armen quasi in den Chor hinein. „Im Namen des Sieghaften, des Zertrümmerers“ und ihm schlagen erschreckende und klare Wortfetzen wie „omnipotente“ entgegen, gespannte Geigen-Tremolo umrahmen den Sangesdienst am Jupiter, man kommt sich vor wie bei einer Messe zu Ehren des Göttervaters vor der Versammlung eines Heeres auf dem Marsfeld in Rom. Man erinnert sich wo man hier ist, in der evangelischen Garnisonskirche. Wieder so ein Erwachen: Form, Inhalt und Dynamik fügen sich fast synästhetisch ineinander. Die Arkaden und die fünf Fenster über ihnen:eine gewaltige Kulisse für eine Entladung von höchster Präzision und Koordiniertheit.

Je weiter entfernt, desto größer die Sehnsucht
Nun begegnen zwei außerirdisch anmutende Tonalitäten, das Alphorn von Manuel Zieherund der Obertongesang von Timber A. Hemprich einander. Beide von exponierter Position, Hemprich aus einem der fünf Fenster über den Altararkaden, Zieher von der Empore aus. Viele schließen die Augen, ein magischer Moment. Die ausgeklügelte Dramaturgie macht es möglich die Sequenzen in großer Wachheit zu erleben, in einer flussartigen Angeregtheit, einer Harmonie im Wandel der Beiträge. In die „Straße wo der Wind wohnt “, einem chinesischen Volkslied ist es erneut die Erhu welche windesgleich die ebenso chinesische wie kongeniale erste Geige Juki Kojima beflügelt und auch die edlen Schwingen vom japanischen Kontrabass Kiyoshi Takeda und die blutsvolle Cellistin Amanda Britos erheben sich gravitätisch durch das Anwesen fernöstlicher Sehnsucht angehoben.Sein Spiel ist wie eine Erweckung und Verneigung gerade vor der hohen Hingabe von Juki Kojima sowie der Tiefe der am Dritten Auge geschmückten Cellistin Amanda Britos.Wieder ein Moment erotisch-philosophischer Ladung in den man in seiner reinen Geschmeidigkeit schon Agape, die selbstlose Liebe hineinsehnen kann. So nah so fern. Daraufhin scheint die tiefschürfende Arbeit der Kulturvölker getan und im philippinischen Padayon wird die Choreographie tänzerischer und die Musik irdischer, einfacher, unbeschwerter.

Das nahende Geheimnis des fernen Westens
Der „Dreamweaver“ ist eine zeitgenössische Lieder-Reihe von dem norwegischen Komponisten Ola Gjeilo.Seine Sieben Lieder sind der Grund warum Romes Aussage an das begeisterte Publikum vor der Zugabe „das er sie nicht überfordern wolle“ berechtigt war. Die Liederreihe spielt an Weihnachten. Ein Träumender schläft an Weihachten ein und träumt bis zum Epiphanias, dem Weihnachten der Orthodoxen, einer Zeit die von alten germanischen Kulten als die Rauhnächte bezeichnet wird.Schafft es dieser interkulturelle Tausendsassa und Dirigent des Klangreiches, jetzt auch noch einen fernen Westen, in die sehnende Zeit des Adveniat, der Ankunft des Herrn, dem Publikum näher zu bringen. Fern: der Schläfer am Morgen der Erscheinung(Epiphanie) des Herrn erwacht ist voll der Geschichten. Im Mikrokosmos der sieben Lieder, die Zahl der Vollkommenheit, verwebt sich der ganze Erzählfaden der Chorklänge noch einmal auf das große Werk der Erleuchtung und Verwandlung in Christus hin. Seeliger Schlaf in den “Past Life Melodies´” und “Allt Är Nära”. Das Erwachen in der Liebe zum anderen Geschlecht, die Fülle und das Abenteuer der Suche nach dem Partner in den “zwei blauen Augen” von Mahler und dem “Zigeunerleben” von Schumann. Die Sehnsucht die sich in Anbetung höherer Sphären in” Engel”, “der Hymne des Chrysostomos” und “Iuppiter” entläd. Und dann die treue Liebe und ihr im Selbstloswerden über das Objekt hinausweisender Charakter. Am besten sprachlich repräsentiert in der zweiten Zeile von „bist du auch Meere weit“, von einem Autor mit dem klingenden Namen Karl Marx.
„ Mag die Wirklichkeit uns trennen,
sei Dein Fernsein selbst gesegnet,
denn das Herz wird heller brennen,
wenn es Dir im Traum begegnet.“
„Prologue“ und „Dreamsong“ geben der bisher gehörten warmen nordischen Musik noch einen anderen Spin. Eine Feierlichkeit, die etwas in Tschaikowsky´s Chrysostomos anklang, die sich aber mehr noch nach Edvard Griegs Solveig´s Song anhört nur getragener weniger melodiös, weniger persönlich und dramatisch.

Geh weiter gen Westen…
Während der Erwachende dem Traumweber, dem allwissenden Wanderer vertrauen schenkend, nach geht führt ihn dieser zunächst in ein schroffes und unversöhnliches Land.Vorher schon beim Gottesdienst an der Schwelle der Tür-von unsichtbarer Hand befähigt, die Erlebnisse der 12 Tage sagbar zu machen- gelangt er nun zu einer Brücke. Zu „The Bridge“ hebt die blonde Caroline Schlenker zu ihrem ersten Solo an, welches ehrfürchtig vor Gott, von der Brücke und ihren Bewohnern aus dem Schattenreich, den reißenden Tieren der gottlosen Begierden berichtet.Weiter geht der Träumer seinem Traume nach- immer gen Westen, gen Westen. Intermezzo, dient als viertes Lied als Mitte und Scharnier zwischen der Herkunft der sündigen Seele und dem im Traume verheißenen Reich der gnadenvollen Sündenvergebung. Hier singt der Chor alleine im läuternden Schwange des „Dies Ira“ eines katholischen Reqiuems. Ein Licht aus der Höhe ist nun das von Janis Pfeifer mit seinem Flügel leisfühlig eingeleitete „Paradise.“ Die noch unter dem Eindruck der durchbohrenden Blicke der Monster stehende Solistin reißt sich- einem tief im Dreck mit einem roten Mantel bekleideten Mann- intuitiv folgend, los aus dem Purgatorium- hier als Eisbrücke zum Paradies- dargestellt.Sie schickt sich in die Nacktheit der Seele- welche jede Sünde Gott hinlegt um sich in bloßer Sehnsucht-wir sind im Lied sechs, dem “Dominion”- der Allgewalt des Thrones anzunähern.Im “Epilog”(Lied Sieben)-darf man das als Weisheit des Westens deuten-verlor eine Frau ihr Leben aus Angst vor der Hölle. Das in Liebe entflammte Herz Jesu lies hingegen die Schande des Träumenden verglühen, allein aus Gnade wird er in seiner Furchtlosigkeit erlöst.Zu Gnade aber braucht es Einsicht. Dann einfühlsam und verwandlungsfähig und in Richtung „Paradise“ und „Dominion“ mit Haut und Haaren richtig im Format des Liedes glänzt die äußerlich wie stimmlich passende Solistin Caroline Schlenken in schlichter Hingabe. Durch die Sünden hindurch- von Michael auch in ihrer Sünde verteidigt- formt Jesus am Ende aus Gnade die Seelen neu. Der ferne Westen ist in unseren technischen,nationalen und internationalistischen Utopien äußerlich allen so nah gekommen, das der christliche Weg der Nächstenliebe ganz verlassen schien.Das Konzert zeigte auf das die durch ihre Gleichnisse in der Welt gefundene Liebe Christi die wahre Freiheit bringt.Das Licht der Welt. So nah so fern.Ein Konzert das den Sinn von Sehnsucht und Annäherung gut ausgelotet hat, bis hin zu der frohen Botschaft, dass das Licht in der Dunkelheit und in der Fremde geboren ist.Irgendwie spiegeln diese nordischen Gesänge und Gemüter das gut wieder. Die Zugabe hieß aber „Weit weit weg“ von Hubert von Goisern, dass noch Tage später im Kopf weitersingen wollte. Die letzten Worte gebühren dem letzten Vers von Karl Marx: „Bist du auch Meere weit.“ So nah so fern:
Da das Leben des Verliebten
schwindet mit des Liebchens Licht
hab ich Deinen Glanz dem Auge
meines Seins verinnerlicht.