Schöpfung ohne Geländer

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Im Sauschdall in Ulm tanzten Juden mit Arabern

Im ersten Raum des Sauschdall´s Ulm begegnete man freundlichen Menschen, wie der Mitorganisatorin Simone, die sich lieber Referatsleiterin nennt als Chefin.Im zweiten Raum dufteten einen Taboule-Salat, Hommus und Baba-Ranousch an und bei mundenden Happen in chubbes, arabischem Brot, stärkte man sich für den Film.Hinter den Turtables traf man Jawwad abu Sinni aus Nazareth, der jetzt in Stuttgart wohnt. Er würde uns nach dem Film nafas, den Atem auf arabisch,  näher bringen, zusammen mit seiner musikalischen Gesprächspartnerin am Vibraphon Kassia.Das ganze war eine der letzten Veranstaltungen im Rahmen der Ulmer Friedenwochen, die stimmiger Weise in den Tag der Deutschen Einheit mündeten.Anne-Marie und andere haben das wunderbar mit Lilien geschmückte Buffet erschaffen, die Spenden hier für gehen zu 100% an den Verein für Friedensarbeit Ulm. Ich unterhalte mich noch angeregt mit Jawwad über die Philosophie des Nicht-Tuns,die er verfolgt, und seine wegen dem Beharren darauf, das Palästina zu Israel gehört, beendeten Freundschaften zu Israelis Der Film beginnt. Jawwad ruft mir noch nach um das Problem zu lösen solle man nicht polarisieren. Der Film: Pierre der charmante und charismatische ehemalige Weltmeister im Tanz stammt aus Jaffa, welches heute mit Tel-Aviv verbunden ist.

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Liebe Leute, leckere Bissen,  war das Buffet scheinbar leergefuttert und gab später doch immer noch Hommus und Brot für einen Snack zwischen dem Tanzen her

Filmvorführung: Dancing in Jaffa

Er hat 30 Jahre lang in New-York amerikanische Kinder unterrichtet, dann packt es ihn er müsse doch endlich auch einmal arabische und jüdische Kinder unterrichten. Seine Vision ist einen Tanzkurs für Kinder beider Nationalitäten anzubieten, welcher in dem Tanzwettbewerb „Dancing in Jaffa“ endet.Ich will mich zu einer ansprechenden Frau hinsetzen, da kommt mir ihre Freundin zuvor. Als die jüdischen Kinder davon erfahren, dass sie mit Palästinensern tanzen sollen, fallen sie aus allen Wolken, manche weigern sich und gehen. Ich denke an Jawad´s Worte.Eine jüdische Mutter erklärt ihrem Sohn, das es auch christliche Palästinenser gibt, so wie Chistina, der Junge meint skeptisch, „Vielleicht sind ihre Eltern Engländer.” Pierres Vater ist auch Engländer. Trotzdem hat er seine Heimat durch die Gründung Israels verloren. Als die meisten Kinder doch mitmachen gibt es die nächste Hürde. Mädchen und Jungen wollen nicht miteinander tanzen. Der großartige Lehrer sagt nun er habe auch 35 Jahre mit seiner Partnerin Miss Janina getanzt und habe sie nicht geheiratet. Man müsse nicht heiraten um miteinander zu tanzen,  und zeigt eine atemberaubend grazile und harmonische Aufnahme eines Tanzes der beiden. Ich denke an die Stelle die Liedes „Zentralfriedhof“ des Wieners Wolfgang Ambros, wo Juden mit Arabern tanzen. Ich bin ja selber ein Krisengebiet, halb Araber, halb Deutscher, fühle mich aber oft wie ein Jude, wenn auch im übertragenen Sinne.Die verschiedenen Lebenswelten von Arabern und Israelis in Israel zeigt der Film brillant lebensnah. Was für die Israelis der Unabhängigkeitstag ist, ist für die Palästinenser der Nagba-Tag, der Tag der Katastrophe. Die jüdischen Kinder spielen gleichgeschlechtlich „Wahrheit oder Pflicht“ und ein arabischer Junge läd seine Tanzpartnerin auf sein Fischerboot ein. Vielleicht hat Polarisierung doch ihren Sinn. Von der Selektion a la „American Idol“ kann der Tanzlehrer sich dann doch nicht trennen und einige der Kinder scheiden enttäuscht vor dem großen Finale beim Tanzwettbewerb „dancing in Jaffa“ aus. Beim Finale sieht man voll verschleierte stolze Frauen, durch einen kleinen Augenschlitz, mit dem Handy, ihre Töchter filmen. Inbrünstig schreiten die glücklichen Paare bei Tango und Merengue über das Parkett und ein Team gewinnt und das andere verliert. Ein berührendes Dokument eines Polarisierungsprozesses, der zu einer Konjunktion der Gegensätze führt. Ewelina aus Polen fand den Film gut, sie fragt sich ob es längerfristig etwas gebracht hat. Zumindest hat das Projekt als „Dancing Classrooms“ Schule gemacht und in den letzten Jahren haben es 2000 Schülerinnen und Schüler durchlaufen.

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Die werdenden Tänzer und Tänzerinnen hatten so manche Hindernisse zu nehmen      Quelle: Film “Dancing in Jaffa”

Klangperformance: First chapter: Nafas

Nach dem anregenden Film gab es beim Buffet und Getränken Raum für Gespräche während Jawwad und Kassia ihre musikalischen Infrastrukturen flott machten. Im ehrenamtlichen und kommerzfreien Sauschdall hatte ein Performance mit wenig Definitionen und viel Grenzenlosigkeit Platz. Jawwad hält nichts vom Nationalismus und von emotionalen Aktionen. So fügt er in der Performence auch zum Echo der Tonangeberin Kassia. Nafas ist das arabische Wort für Atem.Kassia beginnt in dem sie Zimbeln schlägt. Der Atmungsprozess von Nafas beginnt verhalten anzuheben. Jawwad antwortet auf seinem Sythesizer mit Beckenwirbeln und verhaltenem Sitar-Zupfen. „Alles was Odem(Nafas) hat lobe den Herrn…“, „…lobet ihn in mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit wohlklingenden Zimbeln…“, heißt es im Psalm 150. „Holy is the space around us, holy ist the space inside us…“, so beginnt das Motto der spontanen Klangperformance. Dann erzeugt Kassia mit ihren Bogenzügen auf den Metallplättchen des Vibraphones die Rechte Atmosphäre für die Meditationsanweisungen von Allen Watts, einem Pionier der autonomen Spiritualität aus den 50ern des letzten Jahrhundert. Diese weisen unter anderem darauf hin, dass man keine Sinnzuschreibungen zu den aufkommenden inneren und äußeren Reizen hinzufügen soll.Das in Staunen versetzte Publikum ist meilenweit davon entfernt in Tanzlaune zu geraten.Für jemanden mit dieser Erwartung, eine Schule des Annehmens und Wertschätzens. Dann ein quirliges Zupfen von Kassia auf einer Art Hackbrett, gefolgt von klarem Rhythmus, der mich nun doch animiert links und rechts mit den Füßen aufzustampfen. Jawwad loopt die Vibes und spielt sie hernach als Hintergrund ein. Dann tönt die Polin, eine runterfallende Flasche unterstreicht die improvisatorische Natürlichkeit und Fehlbarkeit der Performance. Ewelinas Fuss dreht sich um die eigene Achse. Atem vertieft sich. Das Motto geht weiter: „…it is you and me, it ist all that is obvious and all what is hidden…“ Das Flüstern eines schönen Pärchen, er nimmt sie an der Taille zu sich. Ewelina schließt die Augen, ein Mann mit Vollbart ist außerhalb der sich langsam etablierenden Atmosphäre, die irgendwie durch Ewelinas Tasche begrenzt zu sein scheint.

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Der Maler David malt Kassia an ihren Vibraphone

Ohne tanzen Teil der gemalten Musik

Die übereinander gelegten Beine, der in die Hand gelegte Kopf, de konzentrierte Blick, männlich-weiblich, ein und aus – Atem. Tibetische Obertongesänge ziehen mich in das U, die Tiefe. Ein Mädchen, das sich der zweiten Stufe der Sitztreppe befindet gähnt.Eine Parallelatmosphäre. Ewelina sieht, dass ich sich beobachtet habe. Ich hole meine kleines Büchlein hervor, bin etwas verlegen, auf der Suche nach Handlungsanweisungen. Kassia spielt nun virtuos mit vier Schlegeln auf ihrem Vibraphone. Ewelina nimmt ihre große Tasche in die Hand und geht, die Phasen von Polarisation und Konjunktion scheinen überstanden. Simone hat ein wunderbares Staunegesicht. Der vollbärtige Mann erweist sich nun mit als der konzentrierteste und ausdauerndste Beobachter dessen wie sich die Atmosphäre des musikalischen Atmungspozesses entspannt.Ich wünsche mir, dass das Cellular Phone auf Ewelinas altem Platz liegt, ihr gehört, irgendwann nimmt der Mann es, als er sich umsetzt. Es sind nur noch wenige da. Jawwad spielt jetzt, verzerrte, aggressive Sounds ein. Araber-Palästinenser?Kassia spielt auf dem Xylophon. Bei einigen Zuschauern scheint ein Erschlaffungzustand eingetreten zu sein, als sich ein Typ neben mich setzt und Stifte rausholt.Wie anregend. Er fragt mimisch ob er mein Büchlein haben kann, er malt mich rein, wow, welche eine Ehre. Der bärtige Mann fängt mit Raum und ohne „Taschen-Exklusion“ mit fünf Fingern zu trommeln an, vielleicht ist er Araber.Inklusion.

Am Ende tanzten Juden mit Arabern

Auf des Malers Blatt, er malt auf verschiedenen Flächen, amalgamiert mein Bart mit den Aluröhren des Vibraphones, schön, ohne Tanzen Teil der gemalten Musik.Hundegebell und Vogelgezwitscher im Raum des U wiegen uns in eine surreale Mischung aus Entspannung und abstrakter Erinnerung. Nun hebt wieder die warme Stimme des Relgionsphilosophen Watts an. „Don´t identify“, der blonde Maler kann meinen Block nicht lesen. „It is everything and it is nothing…“, endet das Motto der Performance. Die Großen Fragen: Woher kommen wir und wohin gehen wir, Kassia hat sie aufgeworfen und Jawwad antwortete vielstimmig. Viele sind gegangen, einige hinzugestoßen. Beim anschließenden Tanz,wo Jawwad nochmals auflegt, strahlt mich eine Frau an. Sie ist Jüdin, ich Araber, sie nennt mich Philo- sie heißt Sophia, eine andere Geschichte aufruhend auf den Schichten, die ich hier zu teilen versuchte. Der Atem vertieft sich, der Maler beginnt zu tanzen. Nafas Chapter 2. Schöpfung ohne Geländer.Wieder so ein herzzerschmelzender Blick. Juden tanzen mit Arabern, so nah, so fern.Kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit, die das in ihrer weltgeschichtsmächtigen Dimension möglich macht. Weisheit heißt zu wissen, dass alles ein Ende hat und jedes Ende einen Anfang.Philosophia heißt sich damit anzufreunden das es so ist und darin sein Glück zu finden immer beunruhigt zu bleiben, wach, irgendwo im atemberaubenden Atmungsprozess zwischen Anfang und Ende. Grenzen sind fließend und nur darin liegt ihr eigentlicher Sinn, “…hier beginnt eine elektronische Reise zu den Klängen des Universums” und hier schließt sich der Kreis zum nächsten Tanzabend im Sauschdall, zu den nächsten  Paarungen von Wesen unterschiedlicher Spezies und zu den Friedenswochen 2019. Frieden beginnt im Innen und dessen Zustand zeigt sich im Außen…Wunderschön.

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Die Performance: “First Chapter: Nafas” aus der Warte von David
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Author: farounfirewater

Ich bin der Falke im Sturm der den König sucht. "Ich lebe mein Leben in sich weitenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn, Den letzten, ich weiß nicht ob ich ihn Vollbringe, aber versuchen will ich ihn Ich kreise um Gott um den uralten Turm und ich kreise Jahrtausende lang und ich weiß nicht, bin ich eine Falke, ein Sturm, oder ein großer Gesang" (Rilke)

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